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Körperbild Teil2: Körper-haben -- Körper-sein

Die Griechen sind bekannt dafür eine starke Beziehung zu ihrem Körper gehabt zu haben. Antike Statuen von Helden und Göttern sind mit einem beeindruckenden Muskelrelief dargestellt. Es entstanden (Vor)Bilder, die mehrmals in der Geschichte wieder aufgegriffen und neu interpretiert wurden.

Ein Körperkult ist auch heute immer wieder auffindbar. Was als idealer Körperbau angesehen wird, ändert sich natürlich. Unterschiedliche Gemeinschaften und Bevölkerungsgruppen kreieren ihre eigenen Ideale. Diese scheinbare Pluralität erwächst vorrangig aus unterschiedlichen politischen, philosophischen und kulturellen Ansichten. Schon immer war der Körper ein Mittel zur Polarisierung und Meinungsäußerung.

 

Neben einem Ausdruck mittels Körper geht es auch um einen inneren Eindruck. Unsere Überzeugungen müssen wir regelmäßig für andere und für uns selbst sichtbar machen. So schaffen wir es, uns ein kohärentes und konstantes Ich vorzugaukeln. Ohne dieser Konstanten würden wir jeden Morgen aufwachen und uns fragen, wer wir eigentlich sind. Der Körper lässt uns, mehr noch als materielles um uns herum, in der Welt und bei uns ankommen.

Aber Ausdruck und Eindruck können auch in Konkurrenz zueinanderstehen. Menschen können unter sozialem Stigma leiden, während sie sich gleichzeitig so ausdrücken, wie es für sie passend und richtig ist.

 

Körper-sein und Körper-haben

Der Körper kann also mit der eigenen Identität in Verbindung gebracht werden oder diese sogar ganz einnehmen.

Neben dem Körper-haben existiert hier ein Körper-sein (Uexküll 2001)  Inwieweit ist es für den Einzelnen ein Unterschied? Wie identifiziere ich mich mit diesen beiden Aussagen?

In Wechselwirkung tritt dieses Körper-haben oder Körper-sein mit einer inneren Einteilung und Bewertung:

  • Ist mein Körper?   Bin ich gesund oder krank?
  • Funktioniert mein Körper? Funktioniere ich?
  • Ist mein Körper attraktiv?  Bin ich attraktiv?
  • Kann mein Körper mich durch alle Herausforderungen tragen Bin ich allen Herausforderungen gewachsen?

Dieses Spektrum zwischen sein und haben kann uns unterstützen mit unserem Leben umzugehen. Die beiden Formen der Verkörperung schließen sich nicht aus, sondern sind immer beide andauernd präsent. Nur neuronal komplex entwickelte Tiere scheinen in dieser dauernden Interaktion zwischen Sein und Haben zu stecken. Dadurch ist es uns möglich sowohl aus Vergangenem zu lernen als auch Möglichkeiten des Zukünftigen vorauszusehen. Die Verkörperung schafft uns eine Relation zur Zeit (Wehrle 2020).

Körper-sein heißt sich als Ganzes zu sehen und zu erkennen, wie wichtig körperliches Erleben für mein Wohlbefinden und mein psycho-soziales Sein ist. Mit Körper-sein geht ein Erkennen (im Unterschied zu Wissen) der Gefühle und Emotionen einher, die sich meist körperlich und weniger geistig manifestieren. Emotionen erwachsen aus dem Körper und sind durch diesen erfahrbar. Die Angst sitzt im Nacken, die Scham steigt ins Gesicht, das Herz springt vor Freude - diese oder ähnliche Beschreibungen können wir einordnen. Wir sind Körper, so wie wir Geist und Umwelt sind.

Auf der anderen Seite haben wir unseren Körper als Werkzeug und unser Gefährt. Damit sind wir handlungsfähig in der Welt und sind nicht nur Teil dieser. Diese Ansicht schafft außerdem Distanz zwischen Leib und Seele und ist vielleicht gerade darum beliebt innerhalb Religionen, die dem Jenseits mehr Wichtigkeit zuschreiben als dem Diesseits. Auch bei körperlichem Gebrechen, kann es ein Schutz sein, den Körper als das Werkzeug und nicht als das Sein an sich zu sehen.

 

Kompetenz-Optik Verzerrung

Unterschiedliche Erkrankungen können den Körper erkennbar zeichnen. In der Medizin dient das als erster Anhaltspunkt für eine Diagnose. Das beginnt bei der Veränderung der individuellen Hautfarbe und endet beim Bewegungsverhalten der Patient*innen. Der Trugschluss, der sich daraus ergibt, ist, dass Gesundheit erkennbar ist. Es ist jedoch genau umgekehrt. Indizien für spezifische Krankheiten sind erkennbar, nicht aber Gesundheit. Auch ist keine Steigerungsform möglich. Ein körperlich Äußeres ist nicht gesünder oder funktioneller als ein anderes!

Der dargestellte Sachverhalt scheint banal und eine Wortklauberei. Dabei hat er wesentliche Auswirkungen auf unsere Weltsicht.

Zum Beispiel ist Übergewicht ein äußerliches Zeichen eines erhöhten Risikos (!= Bezeichnung für einen möglichen Ausgang- siehe Duden https://www.duden.de/rechtschreibung/Risiko ) für viele Krankheiten. Ein optisch durchtrainierter Körper ist jedoch andererseits kein Zeichen von Gesundheit. Das Zeichen von Krankheit fehlt lediglich. Eine sichtbare Bauchmuskulatur und ein kräftiger Gesäßmuskel sind vielleicht ein Zeichen für Athletik oder „Fitness“, bestätigen aber auch diese nicht.

Diesen Trugschluss nenne ich die Kompetenz-Optik Verzerrung[1]. Dieser Trugschluss ist nicht nur bei Laien auffindbar. Schlechte Körperhaltung, ungesunde Hautfarbe und Fettdepots an gewissen Körperstellen sind Beispiele, die auch von Helfer*innen[2] immer wieder zu hören sind. Interventionistisches Handeln von Fitness- und Gesundheitsexpert*innen ist zumindest Teilweise ein Ergebnis dieser falschen Schlussfolge (mehr dazu in einem folgenden Artikel).

 

Warum wird Männern, bei gleichem Kompetenzprofil mehr Fachkenntnis zugeschrieben als Frauen?

Warum stellen wir eher jemanden der gleichen ethnischen Gruppe ein?

Das Äußere spielt in unserem Leben eine große Rolle, auch wenn wir es nicht gerne zugeben wollen. Ingroup-Outgroup Verhalten werden reichlich diskutiert. Die Pigmentierung der Haut reicht, um allerlei unbewusste und bewusste Prozesse auszulösen.

 

Dass das körperliche Erscheinungsbild auch nach außen Wirkung zeigt und die zugeschriebenen Attribute einer Person beeinflusst, das wurde bereits mehrfach bestätigt. Speziell für den Gesundheits- und Fitnessbereich haben Boerner und Kollegen eine quantitative Studie veröffentlicht, die zeigt, dass Personal Trainer*innen mit muskulärem Erscheinungsbild mehr Kompetenz, aber nicht unbedingt Wissen zugeschrieben wird (Boerner et al. 2019, Melton et al. 2010). Aber auch medizinisches Personal wird nach ihrer körperlichen Verfassung bewertet. Mehrere Studien zeigen, dass Patient*innen jenen Mediziner*innen mehr Vertrauen schenken und mehr Therapie-Adhärenz zeigen, die nicht übergewichtig sind (Hash et al. 2003Puhl et al. 2013). Im Falle dieser Studien zeigte sich auch kein Einfluss durch das selbst angegebene Körpergewicht der Patient*innen.

 

Wir schreiben Menschen nach dem offensichtlichen Aussehen Kompetenzen zu. Wahrscheinlich ist das häufig eine sinnvolle Heuristik, die sich über Jahrtausende gebildet hat und nicht erst im Homo Sapiens vorkommt. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir diese Heuristik nicht hinterfragen und aufbrechen dürfen. Wir dürfen und müssen in einer modernen Gesellschaft „natürliche“ Muster aufbrechen und erneuern. Sie sind nicht besser, nur weil sie natürlich sind! In der Medizin müssen wir das duale Konzept von Körper und Geist aufgeben (Uexküll 2001).

Wir müssen beherzigen, dass jeder Mensch Körper-ist und Körper-hat und seine Erfahrungen und Informationen mehr sind als Physik und Chemie. Als Gesellschaft müssen wir Pluralität fördern, anstatt sie einzudämmen. Ansonsten bleiben wir im Einheitsbrei stecken. Als Einzelne*r müssen wir unsere Gedanken und Gefühle beobachten, die wir im Umgang mit Anderen in uns aufsteigen sehen.

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